Rezension: Herausforderung HOMESCHOOLING von Klaus Zierer; Theoretische Grundlagen und empirische Ergebnisse zum Fernunterricht

Laut Buchumschlag soll das Buch Lehrpersonen eine Hilfestellung zur pädagogischen Meisterung der Corona-Krise geben. Zierer betrachtet in vier Schritten die Begrifflichkeit Homeschooling, empirische Forschungsergebnisse zum Homeschooling aus „Visible Learning“ von Hattie, Hinweise zur erfolgreichen Gestaltung von Homeschooling und Betrachtungen, wie der Weg zurück in den Normalbetrieb unter pädagogischen Gesichtspunkten gestaltet werden muss.

  • Erscheinungsjahr 2020; Schneider Verlag Hohengehren GmbH
  • 86 Seiten, DIN A5
  • Prof. Dr. Klaus Zierer ist Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg und ist bekannt durch seine Veröffentlichungen zur Hattie-Studie.

Im ersten Schritt bringt Zierer zügig auf den Punkt, was Homeschooling bedeutet. Durch die Gegenüberstellung der Beziehungsebenen von „Zu Hause in der Familie“ und „Schule“ spannt er ein didaktisches Viereck auf, welches beeindruckend einfach die Problemlage des Homeschooling verdeutlicht. Er kritisiert die fehlende Klärung und Abgrenzung der Rollen der beteiligten Akteure zu Beginn der Schulschließungen.

Im zweiten Schritt gibt es für Leser des „Visble Learning“ nicht so viel Neues. Zierer erläutert kurz den Umgang mit Effektstärken und deren Interpretationen. Aus den niedrigen Effekwerten in Bezug zur Digitalisierung von Unterricht und den großen Streuung der Effektwerte leitet er seine Schlussfolgerung ab, dass die Pädagogik wichtiger als die Technik ist. Also grundsätzlich nichts Neues, aber kurz und knapp zusammengefasst. Er beschreibt als entscheidende Bedingungen für ein erfolgreiches Homeschooling erstens die Berücksichtigung der im ersten Schritt genannten Aspekte und zweitens die Professionalität der Lehrperson. Er fordert entsprechende Empfehlungen für die Lehrpersonen in Form eines Masterplanes Homeschooling, in dem diese Punkte aufgegriffen werden. Dann beschreibt er kurz pädagogische Grundprinzipien des Lernens und die 7 C´s aus einem Forschungsprojekt der Melinda und Bill Gates Foundation als Grundlage für den dritten Schritt, in dem er aufzeigt, wie Homeschooling erfolgreich gestaltet werden kann.

Zierer untermauert nun Schritt für Schritt die einzelnen C´s mit Erkenntnissen aus „Visible Learning“ und bezieht die Beziehungsebenen aus dem didaktischen Viereck aus dem ersten Schritt ein. Hier hält Zierer was er verspricht, da konkrete Hilfestellungen wie auch Grenzen aufgezeigt werden. Es zeigt auf, dass es wirklich auf die Professionalität der Lehrperson ankommt. Einiges kann von der einzelnen Lehrperson umgesetzt werden, anderes nur im Team. Als ich das Buch gelesen habe, wünschte ich mir hier die Thematisierung von Teamarbeit im Kollegium einer Schule. Und sie kommt. Wie schön.

Im vierten Schritt beschreibt Zierer den problematischen ständigen Wechsel während des “hybriden Lernens“ zwischen dem didaktischen Dreieck in der Schule und dem didaktischen Viereck während des Homeschooling. Er warnt davor, die Wichtigkeit der Interaktion zwischen den Pears nicht zu unterschätzen. Weiter spricht er kurz die Reduktion der Unterrichtsinhalte und Fragen der Klassenführung an. Etwas ausfühlicher wird er beim Feedback um Rückmeldungen über die Wirksamkeit von Maßnahmen zu bekommen. Als wichtigen Faktor mit einer sehr hohen Wirksamkeit nennt er die „kollektive Wirksamkeitserwartungen“ im Kollegium. Für den Erfolg von Homeschooling und den Übergang zurück in die Schule (und ich würde auch die Transformation in das digitale Zeitalter dazu nehmen) hängen entscheidend von den gemeinsamen Visionen des Kollegiums ab.

Im Buch folgen nun vier Anhänge. In Anhang A betont Zierer, dass Eltern keine Ersatzlehrer sind, die die digital zugestellten Arbeitsblätter mit ihren Kindern durch nehmen. Dabei beschreibt er die Gefahren der Überforderung bei allen Beteiligten. Im Anhang B rechnet er mit denjenigen ab, die glauben, die Technik macht die Schulen besser. Er bezieht sich noch einmal auf die Professionalität der Lehrperson und meint damit nicht den Umgang mit Lernplattformen und Apps, sondern ihre Unterrichtsqualität und ihre Haltung. Wiederholt fordert er einen Masterplan Homeschooling. Professionelle Lehrpersonen sind für ihn keine reinen Wissensvermittler, sondern eher Bildungsagenten. „Sie bringen eine professionelle Haltung mit, die nichts mit einer Gesinnungsethik zu tun hat. Professionelle Haltung meint einen theoretisch und empirisch reflektierten Selbst- und Weltbezug, der sich ständig hinterfragt, im Austausch mit anderen ist und Forschungsergebnisse ernstnimmt.“ Weiter wettert er „Bereits Kinder und Jugendliche müssen lernen, wie komplex die Welt ist und wie interdisziplinär die großen Fragen der Zeit sind. Sie müssen an aktuellen Problemen erkennen, warum sie manche Fächer lernen, wie sie das Wissen anwenden, das sie erworben haben, und dabei zu ethischen Urteilen fähig sind.“ Das sind starke Worte die mir als Verfechter von fächerübergreifenden Projektunterricht sehr aus der Seele sprechen. Im Anhang C stellt er deutlich die Digitalisierung als Retter der Schulen in Frage. Auch hier belegt er seine Aussagen mit den Ergebnissen aus der Hatti-Studie. Es finden sich dort keine hohen Effektwerte in Bezug zum Einsatz von digitalen Medien. Er zählt dann wirksame Faktoren auf, die eine Kommunikation der Beteiligten beinhalten. Werden diese beim Homeschooling nicht berücksichtigt, bestehe die Gefahr, dass mit der Digitalisierung sogar eine Verschlechterung des Lernens entstehe. Anhang D enthält einen aktuellen Datensatz der Faktoren aus „Visible Learning“ von Mai 2020.

Fazit

Wer eine kurze, aber treffende Beschreibung der Problemlage beim Homeschooling sucht, findet sie in dem Buch von Klaus Zierer. Wer jedoch eine konkrete Umsetzungsanleitung sucht, wird enttäuscht sein. Allerdings werden die Grundvoraussetzungen für das Gelingen von Homeschooling sehr deutlich beschrieben. Für diejenigen, die sich mit Homeschooling auseinandersetzen, absolut lesenswert. Es bestärkt meine Erfahrungen, dass effektives Lernen mit Hilfe von digitalen Medien nur dann funktioniert, wenn Schülerinnen und Schüler in der Schule Selbstwirksamkeit in Bezug zum Lernen erfahren und lernen. Für Schülerinnen und Schüler, die Experten für das eigene Lernen sind und für Lehrkräfte ergeben sich dann mit den digitalen Medien ganz neue Horizonte.